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Fahrlehrerberuf ohne Berufsausbildung?

Zugang zum Fahrlehrerberuf ohne abgeschlossene Berufsausbildung – genügt ein mittlerer Bildungsabschluss? Sind Ausnahmen möglich?

Die Verwaltungsgerichte vertreten verschiedene Auffassungen zu diesen Fragen. Dagegen entschieden das Oberverwaltungsgericht (OVG) Sachsen und das Verwaltungsgericht (VG) Wiesbaden, dafür entschied das VG Darmstadt. Der Autor schließt sich der zustimmenden Auffassung des VG Darmstadt an.

Ablehnende Entscheidung
des VG Wiesbaden
In seiner vor kurzem veröffentlichten Entscheidung (Beschluss vom 27. September 2022, Aktenzeichen: 5 L 1579/21.Wi) vertritt das VG Wiesbaden die Auffassung, dass ein mittlerer Schulabschluss nicht dem Erfordernis der gleichwertigen Vorbildung im Sinne des § 2 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 des Fahrlehrergesetzes (FahrlG) genügt. Es führte hierzu im Wesentlichen aus:

Mit der Gesetzesnovelle 2017 entfiel zwar das Erfordernis, dass vor einer abgeschlossenen Berufsausbildung (zwingend) ein Hauptschulabschluss (oder eine gleichwertige Vorbildung) erlangt sein musste. Daraus lässt sich aber nicht der Schluss ziehen, dass der Gesetzgeber nunmehr in Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung und der ihr folgenden Verwaltungspraxis einen bloßen Realschulabschluss als gleichwertig anerkennen wollte. Zwar hat die Bundesregierung im Gesetzgebungsverfahren der vom Bundesrat befürworteten Anhebung der Bildungsvoraussetzungen vom Hauptschulabschluss zu mindestens einem mittleren Bildungsabschluss zuzüglich abgeschlossener Berufsausbildung in einem anerkannten Lehrberuf (BR-Drs. 801/16, S. 1) eine Absage erteilt (BTDrs. 18/11289, S. 7).
Eine Absenkung der Bildungsvoraussetzungen sollte mit der Gesetzesänderung ausweislich der Gesetzesmaterialien aber trotz Nachwuchssorgen in dem Bereich ebenso wenig verbunden sein. Dem Gesetzgeber ging es neben einer vereinfachten Handhabung der Norm angesichts unterschiedlicher Bezeichnungen von Schulabschlüssen in den Ländern vielmehr um eine Flexibilisierung des Vorbildungserfordernisses, indem er nunmehr eine langjährige Berufserfahrung unter weiteren Voraussetzungen (Ausbilderbefugnis, vgl. § 30 BBiG, § 22 HwO) bei fehlendem Schulabschluss als gleichwertig erachtet. Die im Gesetzgebungsverfahren geäußerte Annahme der Bundesregierung, dass die meisten Ausbildungsberufe „heutzutage“ (wenn auch nicht zwingend) einen mittleren Bildungsabschluss voraussetzen (BT-Drs. 18/11289 S. 7), spricht deutlich dagegen, dass der Gesetzgeber nunmehr regelhaft den bloßen Realschulabschluss als gleichwertig ansieht (so im Ergebnis auch OVG Sachsen, Beschluss vom 14. Dezember 2020 – 6 B 162/20 –, juris Rn. 25).

Die Auffassung des VG Wiesbaden, die im Gesetzgebungsverfahren geäußerte Annahme der Bundesregierung, dass die meisten Ausbildungsberufe „heutzutage“ (wenn auch nicht zwingend) einen mittleren Bildungsabschluss voraussetzen (BT-Drs. 18/11289 S. 7), spreche deutlich dagegen, dass der Gesetzgeber nunmehr regelhaft den bloßen Realschulabschluss als gleichwertig ansehe, übersieht, dass die Bundesregierung in der vom Gericht zitierten Stellungnahme ausdrücklich darauf hinwies, dass die Zugangsvoraussetzungen zum Beruf nicht zu hoch sein dürften, um dem Nachwuchsmangel in diesem Berufsfeld mit geringen Verdienstmöglichkeiten begegnen zu können (BT-Drs. 18/11289 S. 7).

Andere Ansicht:
VG Darmstadt
Der Ansatz des OVG Sachsen, der sich auf die Länge der Ausbildungszeit stützt, wird vom VG Darmstadt nicht geteilt. Nach dessen Auffassung kommt es erstrangig auf die vermittelten Kenntnisse und Fertigkeiten an, die eine Person letztlich dazu qualifizieren sollen, Fahrlehrer zu werden. Die für einen Fahrlehrer besonders wichtigen Fähigkeiten in Wort und Schrift würden in der Realschulausbildung mindestens genauso gut erlernt und gefördert, wie in der Berufsausbildung, wahrscheinlich sogar mehr.

Das VG Wiesbaden hält dem entgegen, dass dessen Entscheidung außer Acht lasse, dass es dem Gesetzgeber ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien nicht nur auf die Sprachgewandtheit der Bewerber, sondern auch auf ihre (schnelle) Auffassungsgabe und Vermittlungsfähigkeit („pädagogische Kompetenz“) ankomme. Letztere setzen aber nicht nur ein bestimmtes Bildungsniveau im kommunikativen Bereich, sondern auch eine gewisse geistige Reife voraus. Da ein solcher Reifeprozess Zeit brauche, könne die (Mindest-) Verweildauer in einem geordneten Bildungsgang durchaus als Maßstab für eine ausreichende Qualifizierung herangezogen werden.

Kommunikative
Kompetenz?
Der Argumentation des VG Wiesbaden kann wiederum entgegengehalten werden, dass es einerseits nicht überzeugend ist, vorrangig auf die Dauer der Berufsausbildung unter Vernachlässigung der kommunikativen Fähigkeiten zu setzen, wenn man beispielsweise die klassischen Berufsbilder der Bäcker, Metzger (Fleischer), Maurer, Maler (Anstreicher), KFZ-Mechatroniker, Schreiner (Tischler), Kürschner oder Schuster (Schuhmacher) in Betracht zieht, deren Ausbildung weniger auf kommunikative Fähigkeiten wie (schnelle) Auffassungsgabe und Vermittlungsfähigkeit („pädagogische Kompetenz“) setzt als vielmehr auf handwerklich-fachliche Kompetenzen.

Unberücksichtigter
Gesichtspunkt
Das VG Wiesbaden stellt seiner Argumentation fehlerhaft eine Regel-Ausbildungsdauer in gesetzlich anerkannten Ausbildungsberufen von drei Jahren zugrunde. Es übersieht dabei, dass es auch gesetzlich anerkannte Ausbildungsberufe gibt, deren Ausbildung lediglich ein Jahr dauert, wie z.B. die Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpflegeassistenten (Berlin) bzw. Gesundheits- und Krankenpflegehelfer (Hessen, Niedersachsen, Saarland, Sachsen-Anhalt) bzw. Pflegefachhelfers (Bayern). Diese Ausbildung hat z.B. in Nordrhein-Westfalen als Voraussetzung lediglich einen „Hauptschulabschluss nach Klasse 9“ (neun Schuljahre) oder einen gleichwertigen Schulabschluss (vgl. § 9 Ausbildungs- und Prüfungsverordnung Pflegefachassistenz – PflfachassAPrV NRW vom 9. Dezember 2020). Auch eine abgeschlossene Ausbildung in diesem Beruf, also nach zehn Jahren einschließlich der Hauptschulausbildung („Klasse 9“), genügt dem Erfordernis der abgeschlossenen Berufsausbildung. Es ist schon vor diesem Hintergrund nicht überzeugend, den mittleren Schulabschluss geringer zu bewerten als den Abschluss einer (hier: einjährigen) Berufsausbildung.

Bewertung
des Verfassers
Im Einklang mit Dauer (vgl. Dauer, Fahrlehrerrecht, 3. Auflage 2022, Anm. 16 zu § 2 FahrlG) ist der Auslegung des VG Darmstadt der Vorzug zu geben. Denn die vom OVG Sachsen und im Ergebnis auch vom VG Wiesbaden geforderte Vorbildung entspricht praktisch dem vom Bundesrat vorgeschlagenen, von der Bundesregierung aber ausdrücklich abgelehnten und vom Gesetzgeber nicht aufgegriffenen Bildungsniveau (vgl. Dauer, Fahrlehrerrecht, 3. Auflage 2022, Anm. 13 zu § 2 FahrlG).

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber mit seiner Formulierung in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/10937 S. 120), dass „u. a. das Abitur“ eine gleichwertige Vorbildung darstelle, diese keineswegs auf das Abitur verengen wollte. Vielmehr hat der Gesetzgeber mit seiner Formulierung „u. a.“ gerade das Gegenteil zu verstehen gegeben, nämlich dass auch andere Schul- bzw. Bildungsabschlüsse als gleichwertige Vorbildung anerkannt werden können (vgl. Dauer, Fahrlehrerrecht, 3. Auflage 2022, Anm. 16 zu § 2 FahrlG).

Und die Fahrlehrerprüfungen?
Was in den o.g. genannten Entscheidungen ebenfalls übersehen wurde, zumindest ist darin keine Auseinandersetzung damit erkennbar, ist der Umstand, dass schlussendlich die anspruchsvollen Prüfungen in der Fahrlehrerausbildung von den Bewerbern bestanden werden müssen.

Ungeeignete Bewerber werden trotz Ausbildung an der Fahrlehrerausbildungsstätte (§ 7 FahrlG) die fahrpraktische Prüfung und die Fachkundeprüfung nicht bestehen, wenn sie zum Beruf des Fahrlehrers ungeeignet sind. Sollte dies in seltenen Fällen dennoch der Fall sein, dürfte für ungeeignete Bewerber spätestens mit den Lehrproben im theoretischen und fahrpraktischen Unterricht das Ende der Karriere als Fahrlehrer erreicht sein.

Wer aber alle Prüfungen besteht, der kann nicht ungeeignet für den Beruf des Fahrlehrers sein, ungeachtet der Dauer und des Niveaus seiner Vorbildung.
Ausnahmemöglichkeiten vom
Erfordernis der abgeschlossenen Berufsausbildung oder
gleichwertigen Vorbildung.
Nicht geprüft hat das VG Wiesbaden die Möglichkeit einer Ausnahmeerteilung gemäß § 54 Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe c FahrlG. Denn gemäß § 54 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c, i.V.m. Absatz 1 Satz 3 FahrlG kann eine Ausnahme vom Erfordernis der abgeschlossenen Berufsausbildung oder einer gleichwertigen Vorbildung erteilt werden, wenn Gründe der Verkehrssicherheit nicht entgegenstehen. Hierbei hat das VG Wiesbaden anscheinend übersehen, jedenfalls nicht erwähnt die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes München (VGH München) vom 18. Dezember 2019 (Az. 11 C 19.1139), der unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung zu § 54 FahrlG (BT-Drs. 18/10937 S. 141) darauf hingewiesen hat, dass die Teilnahme an einem Berufseignungstest ein Indiz dafür liefern kann, ob ein Bewerber trotz geringerer Vorbildung für die Ausbildung und Berufsausübung geeignet ist. Einen solchen hatte die Bewerberin im Antragsverfahren offenbar vorgelegt. In der Entscheidungsbegründung des VG Wiesbaden findet jedoch keine Auseinandersetzung damit statt.

Die Behörde hatte im Verfahren noch dagegen angeführt, es habe sich um einen Online-Test gehandelt, dessen Aussagekraft nicht nachvollziehbar sei, weil die abgeprüften Inhalte und die Methodik nicht dargetan würden. Auch existiere weder Anerkennung oder Zertifizierung des Testverfahrens, noch sei gewährleistet, dass der Test nicht mit Hilfe Dritter absolviert werde.

Die Prüfungsinhalte des Tests und die Methodik hätte die Antragstellerin darlegen können und müssen. Dass die Tests nicht mithilfe Dritter durchgeführt wurden, hätte die Antragstellerin auch darlegen und nachweisen müssen. Dass sie beides nicht getan hat, ist nicht verwunderlich, da einem Laien der Paragrafendschungel und die Hürden und Fallstricke im Fahrlehrerrecht in der Regel nicht bekannt sein dürften. Fehler auf Antragstellerseite können jedoch nicht der Behörde zur Last gelegt werden.

Zusammenfassung
Angesichts divergierender Entscheidungen der Verwaltungsgerichte ist bei näherer Betrachtung festzustellen, dass die Sachverhalte zu unterschiedlich sind, um diese Entscheidungen generalisierend auf alle Fälle anwenden zu können. Nach wie vor ist es aber möglich, ohne abgeschlossene Berufsausbildung oder Abitur Zugang zum Fahrlehrerberuf zu erhalten.

Zur Prüfung der Erfolgsaussicht einer Antragstellung vor oder nach Beginn der Ausbildung in einer amtlich anerkannten Fahrlehrerausbildungsstätte wäre die folgende Vorgehensweise ratsam: Zunächst ist zu klären, ob neben den anderen, hier nicht diskutierten Zugangsvoraussetzungen, eine abgeschlossene Berufsausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf vorliegt. Liegt keine abgeschlossene Berufsausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf vor, ist zu prüfen, ob eine gleichwertige Vorbildung vorliegt. Hat der/die Bewerber/in (Fach-)Abitur, liegt unzweifelhaft eine gleichwertige Vorbildung vor. Ist das nicht der Fall, ist zu prüfen, ob eine andere gleichwertige Vorbildung vorliegt. In diesem Fall wird es schwieriger, denn diese können mannigfaltig sein.

Allein die Mittlere Reife (z.B. Realschule) ohne jegliche Berufserfahrung dürfte problematisch sein. Kommt Berufserfahrung hinzu, ist zu prüfen, ob diese auf einem bildungsmäßig höheren Niveau steht. Dann werden die Aussichten umso besser, je höher die Qualifikation im Beruf ist und je länger dieser ausgeübt wurde.
Mit einem positiven Berufseignungstest erhöht sich die Chance weiter, muss aber auf fachlich hohem Niveau und richtig begründet werden.

Fazit
Es ist nach wie vor möglich auch ohne abgeschlossene Berufsausbildung oder Abitur zum Beruf des Fahrlehrers zugelassen zu werden. Selbst wenn kein (Fach-) Abitur vorliegt. Auch ein Hauptschulabschluss kann genügen. Es ist möglich eine Ausnahme vom Erfordernis der abgeschlossenen Berufsausbildung zu erhalten, wenn die oben angesprochenen Voraussetzungen erfüllt werden können. Voraussetzung ist, dass ein solcher Antrag sorgfältig erarbeitet und begründet wird. Es ist anzuraten, sich hierbei der Hilfe eines sachkundigen Anwalts mit Spezialisierung auf dem Gebiet des Fahrlehrerrechts und langjähriger Erfahrung in diesem Gebiet zu bedienen. Nur dieser wird Sie über die Hürden und Fallstricke, die dabei auftreten können, in Ihrem Sinne beraten und vertreten. Dessen Unterstützung sollte idealerweise schon vor der ersten Antragstellung beigezogen werden, damit von Anfang an die Weichen richtig gestellt werden können.

Rechtsanwalt Dietrich Jaser
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Spezialist für Fahrlehrerrecht
seit 25 Jahren
www.fahrlehrerrecht.com

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