Fahrlehrerberuf auch ohne Berufsabschluss möglich
Bundesverwaltungsgericht: Mittlere Reife genügt nicht – dennoch Fahrlehrerberuf auch ohne Berufsabschluss möglich
Ausnahmen möglich: Zugang über Berufserfahrung und ergänzende Eignungsnachweise
Ein Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 13. Dezember 2024 stellt klar, dass die mittlere Reife das Vorbildungserfordernis des § 2 Abs. 1 Nr. 5 FahrlG nicht erfüllt. Zugleich bleibt der Zugang in den Fahrlehrerberuf geöffnet: § 54 FahrlG erlaubt im Ausnahmefall die Zulassung ohne abgeschlossene Berufsausbildung, wenn berufliche Erfahrung und weitere Nachweise eine funktional gleichwertige Eignung belegen. Der Beitrag ordnet die Entscheidung ein, erläutert die Maßstäbe der Verwaltungspraxis und zeigt, wie der Einstieg auf diesem Weg gelingen kann.
Der Beschluss des BVerwG vom 13. Dezember 2024 hat die bisher vielfach praktizierte Verwaltungspraxis bestätigt und zugleich verbreitete Missverständnisse korrigiert. Danach erfüllt ein mittlerer Schulabschluss (Realschulabschluss) allein nicht das Vorbildungserfordernis des § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 FahrlG. Eine abgeschlossene Berufsausbildung oder eine ihr gleichwertige Vorbildung kann durch die mittlere Reife nicht ersetzt werden (BVerwG, Beschl. v. 13.12.2024 – 3 C 10/23, juris). Der Beschluss markiert allerdings kein absolutes Ausschlusskriterium, sondern den Beginn einer differenzierteren Betrachtung der Zugangsmöglichkeiten. Das Fahrlehrergesetz eröffnet bewusst Ausnahmeregelungen, die – bei sachgerechter Begründung – auch Personen ohne formalen Berufsabschluss den Zugang zum Fahrlehrerberuf ermöglichen (§ 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 c) FahrlG).
Die verwaltungsgerichtliche Praxis verlangt dafür eine am Gesetzeszweck ausgerichtete Gesamtschau. Maßgeblich ist, ob Tätigkeitsschwerpunkte, Verantwortungsgrad und Dauer der Berufserfahrung jene personalen, sozialen und kognitiven Kompetenzen abbilden, die typischerweise im Rahmen einer Berufsausbildung erworben werden. Ergänzende eignungsdiagnostische Ergebnisse können diese Bewertung stützen, ersetzen die berufspraktische Fundierung aber nicht. Damit bleibt der Zugang zum Fahrlehrerberuf offen für diejenigen, die ihre Eignung jenseits klassischer Ausbildungswege nachweisen.
Die Kernaussagen des BVerwG und die Bedeutung beruflicher Qualifikation
Das BVerwG stützt seine Entscheidung auf die Systematik und die Entstehungsgeschichte des Fahrlehrerrechts. Nach Auffassung des BVerwG liege dem Gesetz seit der grundlegenden Neuausrichtung im Jahr 1976 und der Reform 2017 das Leitbild eines beruflich qualifizierten, praxisorientierten Fahrlehrers zugrunde. Der Beruf solle auf einer Qualifikation aufbauen, die über schulische Bildung hinausgehe. Eine Berufsausbildung vermittle nicht nur Fachwissen, sondern auch Handlungskompetenz, Verantwortungsbewusstsein und soziale Fähigkeiten, die in einem betrieblichen Kontext erworben würden. Diese Qualifikationsdimensionen entstünden typischerweise nicht in der Schule, sondern in der beruflichen Praxis.
Gerade im Fahrlehrerberuf, der pädagogische Interaktion, Stressresistenz und Kundenorientierung vereine, komme dieser berufsbezogenen Qualifikation ein besonderes Gewicht zu. Die Entscheidung des BVerwG stellt daher klar, dass die mittlere Reife keine abgeschlossene Berufsausbildung oder eine gleichwertige Vorbildung im Sinne des Gesetzes ersetzt. Zugleich betont das Gericht, dass der Gesetzgeber kein starres System formaler Abschlüsse habe schaffen wollen.
Die Reform von 2017 zielte bewusst auf eine Öffnung ab, damit auch Personen ohne klassische Ausbildungswege den Beruf ergreifen könnten, sofern sie ihre Eignung auf anderem Wege nachwiesen. Entscheidend sei damit nicht die Schulbildung, sondern die berufliche Qualifikation in ihrer praktischen Ausprägung.
Zugang über Berufserfahrung – die Ausnahmeregelung nach § 54 FahrlG
Der entscheidende Zugangspfad für Interessierte ohne abgeschlossene Berufsausbildung ergibt sich aus der Ausnahmevorschrift des § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 c FahrlG. Diese Vorschrift erlaubt eine Ausnahme vom Vorbildungserfordernis, wenn die formalen Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 5 FahrlG nicht erfüllt sind, aber auf anderem Wege die Eignung belegt werden kann. Maßgeblich ist eine am Zweck der Vorbildung orientierte Gesamtbetrachtung. Die Frage ist also, ob die berufliche Erfahrung inhaltlich und in ihrer Tiefe den Bildungswert einer Berufsausbildung erreichen kann.
Die verwaltungsgerichtliche Praxis bestätigt diesen Ansatz. Das Verwaltungsgericht Kassel betont, dass Behörden prüfen müssen, ob trotz fehlenden Abschlusses aufgrund von Berufspraxis, Verantwortungsniveau und Tätigkeitsinhalten eine funktionale Gleichwertigkeit erreicht wird; bloße Bewährung im Berufsleben genüge nicht (VG Kassel, Urt. v. 14.06.2024 – 2 K 1316/21.KS, juris). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat bereits 2019 hervorgehoben, Sinn und Zweck des § 54 FahrlG sei es gerade, eine gleichwertige Eignung auch auf anderem Wege nachweisbar zu machen (BayVGH, Beschl. v. 18.12.2019 – 11 C 19.1139, juris).
In der Praxis kann insbesondere langjährige, einschlägige Berufserfahrung, die mit Verantwortung, Kundenkontakt oder Anleitungstätigkeiten verbunden war, als gleichwertiger Nachweis dienen. Entscheidend ist, dass die ausgeübte Tätigkeit jene personalen, sozialen und kognitiven Kompetenzen erkennen lässt, die der Gesetzgeber mit dem Vorbildungserfordernis bezweckt. Die Behörde hat im Rahmen einer nachvollziehbaren Ermessensentscheidung zu prüfen, ob die Gesamtleistung des beruflichen Werdegangs diese Anforderungen erfüllt.
Der Berufseignungstest als ergänzendes Indiz
Neben praktischer Berufserfahrung kann auch ein Berufseignungstest ein Indiz für die Eignung darstellen. Der Gesetzgeber hat in den Materialien zur Reform des FahrlG ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ein solcher Test im Ausnahmefall ein Indiz für die Eignung darstellen kann (BT‑Drs. 18/10937). Er ist jedoch kein Ersatz für Berufserfahrung, sondern dient als ergänzende, objektivierbare Grundlage für die behördliche Einschätzung. Die Kombination aus dokumentierter Berufspraxis und bestandenen Eignungstests bildet die Grundlage einer sachgerechten Entscheidung.
Ein Beispiel ist der von Moving initiierte und von unabhängigen Prüforganisationen wie TÜV oder DEKRA standardisiert durchgeführte Test. Er wurde von HR Diagnostics auf Basis einer Anforderungsanalyse in der Fahrlehrerbranche entwickelt und misst kognitive Leistungsmerkmale, berufsrelevante Persönlichkeitsdimensionen sowie motivationale Aspekte. Entscheidend ist, dass ein solcher Test psychometrisch fundiert, transparent und unter Aufsicht durchgeführt wird. Nur deshalb kann er als objektives Indiz in die Ermessensausübung einfließen. Die Gerichte erkennen solche eignungsdiagnostischen Verfahren als sachgerechtes Kriterium an, verlangen jedoch, dass die Ergebnisse stets im Zusammenhang mit der individuellen Berufsbiografie gewürdigt werden (VG Kassel, Urt. v. 14.06.2024 – 2 K 1316/21.KS, juris; BayVGH, Beschl. v. 18.12.2019 – 11 C 19.1139, juris).
Pädagogische Mindestvoraussetzungen – ein Scheinargument
In der Diskussion um Zugangswege wird häufig die Forderung nach einer pädagogischen Mindestqualifikation erhoben. Dabei wird unterstellt, nur eine abgeschlossene Berufsausbildung könne die Fähigkeit vermitteln, Lernprozesse zu steuern oder Menschen anzuleiten. Ein Blick auf gängige Ausbildungsrahmenpläne zeigt jedoch, dass gerade kürzere, zweijährige Ausbildungen selten pädagogische Inhalte enthalten. Ein Blick in das Verzeichnis der anerkannten Ausbildungsberufe des Bundesinstituts für Berufsbildung (BiBB) sowie in ausgewählte Rahmenlehrpläne zeigt jedoch, dass gerade kürzere, zweijährige Ausbildungen kaum pädagogisch relevante Inhalte vermitteln. Beispiel Fachlagerist: Der Ausbildungsrahmenplan listet Tätigkeiten wie Wareneingang, Einlagerung, Kommissionierung und Verpackung auf, nicht aber Lernfelder zur Vermittlung kommunikativer Steuerung, Methodik oder Sozialkompetenz (IHK, Rahmenlehrplan Fachlagerist; BIBB, Verzeichnis der anerkannten Ausbildungsberufe 2024). Tätigkeiten wie Warenannahme, Kommissionierung oder Verkaufsgespräche sind wichtig, vermitteln aber keine Lehr- oder Anleitungskompetenz. Ähnlich verhält es sich bei den Verkäufern, denen Verkaufsgespräche gelehrt werden, jedoch kein eigenständiges Lehr-Lern-Setting vermittelt wird (KMK, Rahmenlehrplan Verkäufer); und die handwerkliche Ausbildung zum Änderungsschneider konzentriert sich auf Zuschneiden, Nähen und Bügeln ohne jeden Bezug zur Unterrichtsmethodik oder Lehrkompetenz (KMK, Rahmenlehrplan Änderungsschneider).
Wer über längere Zeit berufstätig ist – auch ohne formale Ausbildung – kann in Führungs-, Service- oder Beratungsfunktionen Erfahrungen sammeln, die Aspekte berufsrelevanter Kommunikations- und Anleitungskompetenzen fördern, etwa zielgruppengerechte Ansprache, strukturierte Einarbeitung, Konfliktlösung und konstruktives Feedback. Vergleichbare Beobachtungen lassen sich mit Blick auf Tätigkeiten wie den Taxiverkehr machen, in denen der Umgang mit herausfordernden Kundensituationen kommunikative Routinen schärfen kann. Dabei ersetzt betriebliche Praxis keine pädagogische Ausbildung und begründet für sich genommen keine Lehrtätigkeit; in Funktionen wie Teamleitung oder Vorarbeiterschaft können sich jedoch Teilkompetenzen entwickeln, die in pädagogisch geprägten Kontexten ebenfalls von Bedeutung sind. Hinzu kommt: In Deutschland dauert die allgemeine Schulpflicht neun bis zehn Jahre, sodass jede Person bereits eine Basisausbildung durchlaufen hat (Schulpflicht Deutschland; vgl. Schulsystem-Übersicht der Länder). Der Gesetzgeber hat in der Reform von 2017 bewusst auf den Hauptschulabschluss als Mindesterfordernis verzichtet, um genau jene Menschen nicht auszuschließen, die ihre pädagogische Eignung eben nicht in formalisierten Lernfeldern, sondern in langjähriger Berufspraxis erworben haben (BT-Drs. 18/10937, S. 120). Vor diesem Hintergrund entpuppt sich das oft vorgebrachte Argument einer „pädagogischen Mindestqualifikation“ durch formale Berufsausbildung als Scheinargument. Wer tatsächlich das Ziel verfolgt, pädagogische Fertigkeiten sicherzustellen, muss die Inhalte der vermittelnden Ausbildung oder Tätigkeit betrachten – nicht allein deren Dauer oder formalen Abschluss.
Eine zweijährige handwerkliche oder kaufmännische Ausbildung ohne ausdrücklichen Lehr- oder Anleitungsschwerpunkt vermittelt nicht notwendigerweise mehr pädagogisch relevante Inhalte als eine längerfristige berufliche Praxis mit Berührungspunkten zu Anleitung und Kommunikation. Im Ausnahmeverfahren nach § 54 FahrlG sollten daher – abhängig von Art, Umfang und Qualität der Tätigkeit – Nachweise praktischer Anleitungserfahrungen und kommunikativer Verantwortung als ergänzende Indizien neben einem Eignungstest in die Gesamtwürdigung einfließen. Eine formale Berufsausbildung bleibt dabei ein Referenzpunkt, kann jedoch nicht in jedem Einzelfall zwingend vorausgesetzt werden, sofern die funktionale Eignung anderweitig überzeugend belegt ist.
Rechtsprechung, Verwaltungspraxis und der Bedarf an Vereinheitlichung
Die Rechtsprechung verdeutlicht, dass die Behörden im Ausnahmeverfahren nach § 54 FahrlG eine sorgfältige und zweckgerechte Ermessensentscheidung treffen müssen. Die Entscheidung des VG Kassel fordert für das Ausnahmeermessen nach § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 c FahrlG eine am Zweck der Vorbildung ausgerichtete Gesamtschau, in der schulische Bildung, Berufsausbildung und berufliche Vorbeschäftigung im Zusammenhang bewertet werden, um eine funktionale Gleichwertigkeit festzustellen; schematische Ablehnungen sind unzulässig. Die Behörde muss sich mit den konkreten beruflichen Vorerfahrungen und gegebenenfalls vorgelegten Eignungsnachweisen substantiiert auseinandersetzen und die individuellen Umstände prüfen und abwägen; eine Entscheidung, die funktionsäquivalente Nachweise von vornherein ausschließt, ist rechtsfehlerhaft (VG Kassel, Urt. v. 14.06.2024 – 2 K 1316/21.KS, juris). Auch andere verwaltungsgerichtliche Entscheidungen betonen, dass Ermessensentscheidungen an realistischen Erfolgschancen auszurichten sind und den Sinn des Gesetzes – die Öffnung des Berufs bei Wahrung der Qualitätsstandards – nicht unterlaufen dürfen (VG Düsseldorf, Beschl. v. 23.12.2024 – 6 L 3625/24, juris). Zugleich bleibt die vom Bundesverwaltungsgericht gezogene Grenze deutlich: Eine bloße Schulbildung genügt nicht, die berufliche Qualifikation muss funktional gleichwertig sein.
In der Praxis zeigt sich jedoch ein erheblicher Bedarf an Vereinheitlichung. Die Anerkennung von Eignungstests und die Bewertung beruflicher Erfahrung werden bundesweit unterschiedlich gehandhabt. Eine gesetzliche Rahmensetzung mit Mindeststandards für Testqualität, Durchführung und Bewertung könnte hier Abhilfe schaffen und zugleich die Gleichbehandlung der Bewerber sichern.
Eine bundeseinheitliche Regelung würde nicht nur der Verwaltung und den am Fahrlehrerberuf Interessierten die notwendige Rechtssicherheit bieten. Sie gäbe auch den Anbietern von Berufseignungstests die erforderlichen Inhalts- und Qualitätsvorgaben, während die Prüforganisationen, die für die kontrollierte Durchführung und Überwachung dieser Tests verantwortlich sind, verbindliche Rahmenbedingungen für einheitliche Prüfungsumfelder und Abläufe erhalten würden.
Fazit
Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts verdeutlicht, dass die mittlere Reife allein nicht genügt, um die Zugangsvoraussetzungen des Fahrlehrergesetzes zu erfüllen. Damit wird kein Ausschluss geschaffen, sondern eine Systematik bestätigt, die auf den besonderen Bildungswert beruflicher Qualifikation abstellt. Für Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung eröffnet § 54 FahrlG einen realistischen Zugang, sofern einschlägige Berufserfahrung, ein positiver Berufseignungstest und weitere Qualifikationsnachweise eine gleichwertige Eignung belegen. Die Gerichte erkennen diesen Weg ausdrücklich an und verlangen von den Behörden eine sorgfältige, einzelfallbezogene Entscheidung.
Für diejenigen, die den Fahrlehrerberuf anstreben, bedeutet dies: Entscheidend ist nicht ein bestimmter Abschluss, sondern der Nachweis von Eignung und Berufserfahrung. Das Fahrlehrergesetz ermöglicht diesen Weg ausdrücklich. Wer die geforderten Kompetenzen überzeugend darlegt, kann den Einstieg in den Beruf erfolgreich gestalten – auch ohne formalen Berufsabschluss.
Dietrich Jaser
Rechtsanwalt
Spezialist für Fahrlehrer- und Fahrschulrecht (deutschlandweit)
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