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Das Dilemma mit der Nichtbestehensquote

Der Umstand, dass prozentual immer weniger Fahrerlaubnisbewerber die Fahrerlaubnisprüfung bestehen, hat uns als Interessenverband Deutscher Fahrlehrer (IDF) bereits seit längerer Zeit alarmiert. Seither betreiben wir kontinuierliche Ursachenforschung zu diesem mehr als bedauerlichen Phänomen.

Was die praktische Fahrprüfung anbelangt, so halten wir die im Januar 2021 erfolgte Prüfzeitverlängerung für absolut unnötig. Die Rücknahme dieser Maßnahme wäre der Verkehrssicherheit in keiner Weise abträglich, denn unserer Meinung nach sind Fahrerlaubnisprüfer aufgrund ihrer hohen Fachkompetenz sehr wohl in der Lage, auch ohne eine zwingende zeitliche Ausdehnung der Prüfung zu entscheiden, inwieweit der Fahrerlaubnisbewerber imstande ist, verantwortungsbewusst am Straßenverkehr teilzunehmen.

Und dass eine längere Prüfzeit das Risiko erhöht, mehr Fahrfehler zu begehen und damit die Anzahl der nichtbestandenen praktischen Fahrerlaubnisprüfungen steigt, dürfte jedem Leser ohne nähere Erklärung einsichtig sein.

Die Nichtbestehensquote bei der theoretischen Prüfung wies über mehrere Jahrzehnte lediglich eine sehr geringe Schwankungsbreite auf. Auffällig ist, dass deren kontinuierlicher Anstieg exakt mit der Aufnahme von Videosequenzen in die theoretische Prüfung zum 1.4.2014 beginnt und weiter anhält. Dieser Zusammenhang ist in allen 16 Bundesländern deutlich erkennbar. Bei näherer Betrachtung erscheint uns die Abbildung des realen Verkehrsgeschehens durch Videoclips in mehrfacher Hinsicht ausgesprochen problematisch:
1. Hardware
Diese kurzen Filmeausschnitte werden dem Fahrerlaubnisbewerber in der Prüfung auf einem elektronischen Gerät präsentiert, dessen Display gerade einmal 22×13,5 Zentimeter misst. Dieser Bildausschnitt ist wesentlich eingeschränkter als in der Realität und ist somit in keiner Weise mit dem realen Sichtfeld des Fahrzeuglenkers vergleichbar

2. Kontextinformationen
Die Videosequenzen bilden zwar Alltagssituationen des Verkehrsgeschehens ab, aber die daraus abgeleiteten Fragestellungen sind unseres Erachtens häufig mehr als irreführend. Dies trifft auch für Fragen anderer Darbietungsformen zu.

Der Interessenverband Deutscher Fahrlehrer legte zum Beispiel Entwicklern von Videosequenzen, einer Vertreterin des Bundesverkehrsministeriums und auch anderen damit einschlägig befassten Experten einige videobasierte Theorieaufgaben mit der Bitte um Bearbeitung vor.

Interessanter Weise war keiner in der Lage, die dargebotenen Situationen identisch zu beurteilen, um die zugehörigen Fragen richtig zu beantworten. Dennoch sind diese „Experten“ alle im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis und nehmen seit Jahren am Straßenverkehr teil. Damit waren zumindest zu diesem Zeitpunkt unserer Meinung nach diese Aufgaben schlicht unrechtmäßig im Fragenpool der Theorieprüfung enthalten. Weitere Beispiele könnten wir jederzeit liefern. Wie soll denn ein Fahranfänger damit zurechtkommen, wenn Urheber und auch andere Experten mit ihren Antworten scheitern? Zudem präsentieren Videoclips viele Verkehrssituationen wie sie in der Realität stattfinden, nur sehr unzureichend, da sich diese Schritt für Schritt entwickeln. Der Fahrer nimmt kontinuierlich relevante Kontextinformationen wahr, die ihm eine umfassende Einschätzung des sich entwickelnden Verkehrsgeschehens ermöglichen und sein Wahrnehmungsfeld so entsprechend fokussieren. Diese Fokussierung entfällt bei den Videoclips komplett. Die aufgezeigte Diskrepanz zwischen computeranimierten Szenen und aktuell stattfindenden Verkehrssituationen dürfte mit Sicherheit auch den Entwicklern des Theoriefragenpools bewusst sein. Aus welchem Grund hätten sie ansonsten dem Fahrerlaubnisbewerber die Möglichkeit eingeräumt, in der Prüfungssituation jede Sequenz bis zu fünf Mal anzuschauen, um dann die Fragestellung zu bearbeiten? In der Realität bietet sich dem Verkehrsteilnehmer jede Situation lediglich ein einziges Mal! Und gerade diese Kluft zwischen Realität und medialer Präsentation kann unseres Erachtens auch nicht durch wiederholte Betrachtungen einer Videosequenz aufgewogen werden.

3. Übersteigerte
Fähigkeitserwartung
Infolge fehlender Kontextinformationen (Informationen des Umfeldes) und der flash-artigen Präsentation von kurzen Filmausschnitten wird der Fahrerlaubnisbewerber häufig mit der Interpretation der dargebotenen Verkehrssituation überfordert und muss zur Entscheidungsfindung aus einem breiten Spektrum von Informationen genau diejenigen herausfiltern, die ihn zur „erwarteten“ Antwort befähigen sollen. Für den Interessenverband Deutscher Fahrlehrer resultiert daraus die Frage, ob es überhaupt legitim ist, dem Fahrerlaubnisbewerber im Rahmen seiner Theorieprüfung eine überdimensional ausgeprägte Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit und eine über das durchschnittliche Maß hinausreichende Wahrnehmungs- und Kombinationsfähigkeit abzuverlangen. Das Prüfungsergebnis wird dadurch besonders durch die bei jedem Menschen unterschiedlich ausgeprägte Fähigkeit des Kurzzeitgedächtnisses beeinflusst, und zwar in einem aus unserer Sicht unvertretbar hohen Maß. Fähigkeiten dieser Art, die entscheidend für eine sichere Teilnahme am Straßenverkehr sind, werden zwangsläufig in der praktischen Prüfung unter realen Bedingungen und zwar in einem vertretbaren Maß nachgewiesen. Zudem muss darauf hingewiesen werden, dass die Bestehensquote auch vom Bildungsstand der Bewerber beeinflusst wird. Das Lern- und Leistungsvermögen von Fahrerlaubnisbewerbern hat infolge von unterschiedlichen Ursachen häufiger abgenommen. Auch der Umgang mit Leistungsanforderungen und die damit zum Teil verbundene Entwicklung von Prüfungsangst spielen eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Im Gegenzug dazu wurde jedoch das Anspruchsniveau an diese Gruppe kontinuierlich gesteigert. Außerdem sehen sich die Lernenden mit einem wesentlich höheren Verkehrsaufkommen als vor Jahren konfrontiert, besonders in größeren Städten. Dass dennoch viele Fahrerlaubnisbewerber diese gestiegenen Anforderungen meistern, darf mit Recht der hohen AusbildungsquaIität der Fahrschulen zugerechnet werden.

4. Unlogische Antworten
Bei genauer Analyse von Theoriefragen müssen wir feststellen, dass etliche davon irreführend sind, und dass darüber hinaus auch nicht nachvollziehbare Antworten als richtige Lösungen angegeben sind. Beste Beispiele dafür lieferten die im Punkt 2 mit Verantwortlichen durchgeführten Versuche, die allesamt zu falschen Antworten führten. Statistikfans wissen, dass eine prüfungsrelevante Festlegung von Beurteilungen einzelner Verkehrssituationen nicht nur dem Testkriterium der Objektivität genügen muss, sondern in jedem Fall auch reliabel und valide zu sein hat, das bedeutet: Die Beurteilung einer dargebotenen Situation durch Personen mit vergleichbaren Fähigkeiten muss in der Regel zu einer gleichen Bewertung führen und somit auch eine gleichlautende Antwort als „zutreffend“ nach sich ziehen. Dass dies nicht der Fall ist, bewies der Interessenverband Deutscher Fahrlehrer (IDF) unter anderem durch den bereits erwähnten Test mit ausgewiesenen Experten. Wie soll denn ein Fahranfänger mit derartigen Fragestellungen zurechtkommen, wenn Urheber und auch andere Experten mit ihren Antworten scheitern? Gestützt sehen wir unsere harsche Kritik an der Aufnahme von Videosequenzen in die theoretische Prüfung auch dadurch, dass über 35 spontan befragte Fahrerlaubnisinhaber, allesamt versierte Verkehrsteilnehmer, diese und andere ausgewählte Theoriefragen alle falsch interpretiert haben. Folglich sind Fahrerlaubnisbewerber geradezu gezwungen, die Bewertung all dieser mehrdeutig dargestellten Verkehrssituationen auswendig zu lernen, um unbeschadet durch die Prüfung zu kommen. Hier entscheidet eindeutig die Merkfähigkeit von an sich unlogischen Inhalten. Dieser Umstand konterkariert geradezu die ursprüngliche Absicht der Einführung von computeranimierten Sequenzen: Es wurde argumentiert, dass so das reine Auswendiglernen unterbunden werden sollte.

Außerdem ist der Umfang des aktuellen Fragenpools deutlich überdimensioniert. Letztendlich ergibt sich schon allein daraus für den IDF die Forderung, sämtliche Videosequenzen und nicht eindeutig zu beantwortende Aufgaben aus dem Pool der Theoriefragen zu entfernen, gerne zunächst einmal testweise für den Zeitraum von einem Jahr. Der zumindest zeitlich begrenzte Verzicht von Videoclips wäre eine kostenneutrale, ja sogar kostensparende Möglichkeit, zu prüfen, inwieweit sich diese computeranimierten Szenen auf die Nichtbestehensquote auswirken. Er könnte auch ein Beleg dafür sein, inwieweit die Ausbildungsqualität dafür verantwortlich zeichnet. Bisherige Behauptungen, man müsse zur Steigerung der Bestehensquote dringend die Fahrschülerausbildungsordnung (FahrschAusbO) und die Prüfungsmodalitäten ändern, könnten so überprüft werden. Andere Staaten, wie zum Beispiel Österreich, verzichten nach unseren Informationen bereits heute bewusst auf den Einsatz von Videoclips.

5. Qualität von Prüfungsfragen
Die steigende Nichtbestehensquote ist unseres Erachtens zu einem erheblichen Teil der oben näher beschriebenen unzureichenden Qualität von Theoriefragen zuzuschreiben. Dabei stellt sich unweigerlich die Frage, inwiefern die jährlich zur Entwicklung und Qualitätsüberprüfung von Theoriefragen zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel in Höhe von etwa 1,7 Millionen Euro (ein Euro pro Theorieprüfung) bzw. die stattliche Summe von etwa 17 Millionen Euro in den letzten zehn Jahren auch sach- und fachgerecht eingesetzt wurden bzw. werden. Und dies vor allem vor dem Hintergrund der Aussage von Professor Doktor Ing. Jürgen Brauckmann vom TÜV Rheinland. Er konstatierte 2011 im Rahmen des Testlaufs von Videosequenzen: „Die computeranimierten Szenen haben den Vorteil, dass die Filme kostengünstig produziert werden können.“

Im Interesse aller Beteiligten scheint es mehr als sinnvoll, sowohl die rechtmäßige Verwendung der Mittel als auch den tatsächlichen Qualitätsstandard der Theoriefragen durch unabhängige Gutachter prüfen zu lassen, nicht zuletzt deshalb, um eventuell drohenden Rechtsstreitigkeiten zuvor zu kommen, und um zu vermeiden, dass dieser Sachverhalt medienwirksam publiziert, bzw. die Angelegenheit umfassend von neutralen Wissenschaftlern analysiert wird. Unerklärlich ist, dass die Evaluation bestehender Fragen und die anlassbezogene Neuentwicklung nicht im Turnus von zwei Jahren durch eine europaweite Ausschreibung vergeben wird. Unsere Auseinandersetzung mit der Thematik zeigte uns, dass der Fragenpool der Theorieprüfung Jahr für Jahr von denselben Organisationen evaluiert und für uns aus unerklärlichen Gründen zweimal jährlich modifiziert wird, obwohl sich das Straßenverkehrsrecht in den letzten Jahren insgesamt doch eher sehr moderat geändert hat.

Dieser Umstand veranlasst den Interessenverband Deutscher Fahrlehrer (IDF) zur begründeten Annahme, dass durch die kontinuierlichen Änderungen der Fortbestand diverser Funktionsstellen in den damit betrauten Organisationen bis in ferne Zukunft garantiert ist. Denn bisher liegen diese sehr lukrativen Aufgaben immer in den Händen der gleichen Institutionen. Infolge des zur Verfügung stehenden Budgets von etwa 1,7 Millionen Euro dürften diese Tätigkeiten sicher auch hoch dotiert sein. Zudem ist dadurch auch für einige wenige Verkehrsverlage eine kontinuierliche lukrative Einnahmequelle gesichert.

Nachdem sich die arge tp 21 laut eigenen Aussagen nicht über den Verkauf des Fragenkatalogs an kommerzielle Verkehrsverlage finanziert, sollte außerdem der freie Zugang im Internet zu einer jeweils aktuellen Sammlung der Theoriefragen eingerichtet werden. So wäre auch gewährleistet, dass alle Fahrerlaubnisbewerber denselben Qualitätsstandard nutzen können und nicht auf denjenigen einzelner Verkehrsverlage angewiesen sind. Außerdem könnten dadurch alle Bürger fortlaufend ihren aktuellen Kenntnisstand bezüglich der Straßenverkehrsregeln überprüfen bzw. auffrischen. Dies scheint dem Interessenverband Deutscher Fahrlehrer IDF) auch vor dem Hintergrund künftiger Änderungen im Verkehrsrecht für die Förderung der Verkehrssicherheit dringend geboten und angebracht, zumal die Entwicklung der Fragen nicht mit staatlichen Mitteln, sondern von den Fahrerlaubnisbewerbern finanziert wird.

6. Platzierung der Fragestellung
Schließlich sehen wir die Prüfungsergebnisse auch dadurch verfälscht, dass bei Videosequenzen die Fragestellung zusammen mit den vorgegebenen Antwortmöglichkeiten erst im Anschluss an die gezeigten Szenen erfolgt. Sobald ein Kandidat die Frage(n) abruft, hat er keinen Zugriff mehr auf die computeranimierte Sequenz. Dazu ein Hinweis aus der Wissenschaft: Die wahrnehmungspsychologische Theorie der „Change Blindness“ geht jedoch davon aus, dass jemand, der zunächst einmal nicht weiß wonach er suchen soll, kaum Chancen hat, das „Gewünschte“ zu entdecken. Und seine Erinnerung liefert ihm nur ein sehr persönlich gefärbtes Abbild der gezeigten Szene.

Wegen der in den sechs Punkten näher erläuterten „Mängel“ fordert der Interessenverband Deutscher Fahrlehrer (IDF) mit Nachdruck, unpräzise Aufgaben sowie Videosequenzen und die dazu formulierten Fragen bzw. Antwortmöglichkeiten wissenschaftlich prüfen zu lassen, und zwar weder von den Entwicklern selbst, noch von den bis dato mit der Evaluation befassten Personen/Organisationen und auch nicht von Personen/Organisationen, die mit den zuvor Genannten in irgendeiner Weise in Verbindung stehen. Was dringend ansteht, ist eine wechselnde Begutachtung durch neutrale fachkompetente Experten.

Der Interessenverband Deutscher Fahrlehrer (IDF) fordert auch seit einigen Jahren vergeblich, dass die arge tp 21 die existierenden statistischen Erhebungen zur Fehlerhäufigkeit der einzelnen Theoriefragen und damit auch der videobasierten Fragen für den Zeitraum von 2014 (Einführung der Clips) bis dato Interessierten zugänglich macht. Dies gäbe den Fahrschulen die Möglichkeit, Ihren Unterricht auf genau diese Bereiche intensiver auszurichten, um so auch unter anderem die Bestehenschance der Wiederholungsprüfung zu erhöhen. Außer leeren Versprechungen und Verweisen auf die vermeintliche (!) fehlende Kompetenz der arge tp 21, die Daten freizugeben, konnten wir bisher noch keinen Erfolg verbuchen, wir bleiben am Ball.

Die Geheimniskrämerei gipfelt schließlich in der Tatsache, dass nicht einmal denjenigen Fahrerlaubnisbewerbern, die bestimmte Theoriefragen falsch beantwortet haben, die amtliche Prüfnummer dieser Fragen mitgeteilt wird. Damit fehlt ihnen die Möglichkeit, ihre persönlichen Defizite bis zur Wiederholungsprüfung gezielt zu beseitigen.

Der Hype um die zunehmende Nichtbestehensquote wird von einigen Organisationen offensichtlich gezielt befeuert. Wir vermuten dahinter die Absicht, dass Fahrschulen noch weitergehend reglementiert werden und ihre pädagogische Ausbildungsfreiheit noch stärker eingeschränkt werden soll. Ein gefährliches Spiel mit dem Feuer! Denn Fahrschulen liefern bislang eine ausgezeichnete Ausbildungsqualität. Dies belegt nicht zuletzt der Vergleich der Unfallstatistik der letzten 20 Jahre: Die Zahl der getöteten Fahranfänger im Alter von 18 bis 25 Jahren hat sich seit dem Jahr 2000 von ca. 1900 auf nun 287 im Jahr 2021 verringert.

„Null“ Verkehrstote sind schlicht utopisch.

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